Der Koalitionsvertrag der neuen Berliner Landesregierung, bestehend aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, wurde am 29.11.2021 mit der Überschrift „Zukunftshauptstadt Berlin. Sozial.
Ökologisch. Vielfältig. Wirtschaftsstark.“ veröffentlicht. Unter Punkt 7 „Umwelt und Tierschutz“ des Koalitionsvertrags werden die Ziele der Koalition in Bezug auf den Tierschutz für die nächsten
fünf Jahre aufgeführt.
Nach der Lektüre bleibt das Gefühl der Leere.
Der Koalitionsvertrag bleibt weit hinter den Landeswahlprogrammen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke zurück, in denen klare und abrechenbare Tierschutz-Ziele für die Legislatur aufgestellt wurden. Bei der SPD tauchten die Wörter „Tier“ und „Tierschutz“ von vornherein nicht im Landeswahlprogramm auf und dieses Nichtvorhandensein eines Problembewusstseins färbte wohl auf die Koalitionspartnerinnen ab.
Der Absatz über den Tierschutz beginnt mit dem Satz: „Die mit dem Tierschutz beauftragten Behörden des Landes Berlin möchte die Koalition personell und finanziell vollumfänglich stärken.“ Wie dies bei der momentanen Haushaltssituation des Landes Berlin geschehen soll, bleibt ein Geheimnis. Während bei anderen Themen des Koalitionsvertrags der Indikativ verwendet wird, wird der Tierschutz mit dem Konjunktiv abgespeist. Die Koalition „strebt an“, „möchte“, „wenn möglich“ und „setzt sich ein“. Der Subtext schreit geradezu: „Bloß nichts versprechen!!! Keine Nägel mit Köpfen bitte!“
Der Koalitionsvertrag verspricht u. a. einen „vernünftigen Ausgleich zwischen Tierversuchen und Tierschutz“. Damit wird suggeriert, der Tierschutz laufe den Interessen in Forschung und Wissenschaft zuwider. Die Koalitionspartnerinnen verkennen hier bewusst, dass es im Eigeninteresse der Wissenschaft ist, im Sinn einer zuverlässigen und aussagekräftigen Forschung die Unzulänglichkeiten von Tierversuchen zu überwinden. Was im Kontext von grausamen Tierversuchen als „vernünftig“ anzusehen ist, wird im Vertrag erst gar nicht definiert.
Der Koalitionsvertrag stellt in Aussicht, dass an konkreten Zeitplänen für die Reduktion und letztlich an der Beendigung von Tierversuchen in den unterschiedlichen Bereichen gearbeitet werden wird. Der „Bund gegen Missbrauch der Tiere - Geschäftsstelle Berlin“ begrüßt, dass die neue Landesregierung die Förderung tierfreier Forschungsmethoden verstärkt fortführen will. Seit Jahren fordern Tierschutzorganisationen anstelle von Lippenbekenntnissen zur Reduktion von Tierversuchen einen strukturierten Ausstiegsplan. Berlin greift nun als erstes Bundesland diese Forderung auf und stellt Schritte in Aussicht, allerdings mit der Einschränkung „soweit dies wissenschaftlich vertretbar ist“.
In den letzten Jahren zeichnete sich in Berlin ein Trend hin zu weniger Versuchstieren ab. Aus Sicht des „Bund gegen Missbrauch der Tiere - Geschäftsstelle Berlin“ ist es in den kommenden Jahren besonders wichtig, diesen Abwärtstrend fortzuführen und zu strukturieren. Bereits im Jahr 2016 postulierte die letzte Regierung, bestehend aus denselben drei Parteien, das Ziel, Berlin zur Hauptstadt der tierversuchsfreien Forschung umgestalten zu wollen. Ob die neue Landesregierung diesem Anspruch nun endlich gerecht werden wird, muss sich in den kommenden fünf Jahren erweisen.
Zu den wenigen tierschutzpolitischen Indikativen im Vertrag gehört, dass das Tierheim Berlin institutionell gefördert werden soll – also direkt über den Berliner Haushalt und nicht mehr über Zuwendungen. Damit würde das Tierheim Berlin eine finanzielle Sicherheit erhalten. Das ist lange überfällig. Es bleibt zu hoffen, dass die Höhe der versprochenen institutionellen Förderung mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sein wird.
Diese finanzielle Sicherheit durch eine institutionelle Förderung durch das Land Berlin wäre auch für wichtige Projekte wie die Berliner Tiertafel e.V. notwendig. Hier verorten sich die Parteien jedoch lieber wieder im Konjunktiv, sodass die Berliner Tiertafel, die kurz vor dem finanziellen Aus steht, weiter bangen muss.
Während andere Bundesländer es längst vorgemacht haben und sog. Rasselisten abgeschafft haben, möchte die Berliner Koalition eine Ehrenrunde drehen, obwohl zwei der drei Parteien die Abschaffung der Rasseliste im Wahlprogramm hatten: „Die Koalition wird eine externe wissenschaftliche Studie in Auftrag geben, die prüfen soll, ob eine Abschaffung der Rasseliste und ein verpflichtender Sachkundenachweis (Hundeführerschein) zu mehr Tier- und Menschenwohl führen.“ Warum die neue Koalition den Weg einer Prüfung gehen will, obwohl Bissstatistiken der Hauptstadt eine klare Sprache sprechen, erschließt sich nicht.
„Es sollen berlinweit Hundeauslaufflächen erhalten und wenn möglich erweitert werden.“ Hundeauslaufflächen gibt es in ganz Berlin viel zu wenige. Die Aussage des Koalitionsvertrags hat zynische Untertöne, wenn man bedenkt, dass bspw. der Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf, in dem es die meisten Hunde gibt, keine einzige Hundeauslauffläche (Stand Januar 2021) hat.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass das Land Berlin den illegalen Welpen- und Tierhandel nicht einschränkt. Hinweisen von Tierschutzorganisationen wurde nicht nachgegangen, da die zuständigen bezirklichen Veterinärämter nicht verdeckt auftreten dürfen. In der Coronazeit ist der illegale Tierhandel im Internet explodiert. Leidtragend sind die Tiere und die Tierheime, die die kranken Tiere aus dem illegalen Handel aufnehmen müssen. Daher hilft hier nur ein absolutes Verbot des Tierhandels. Der Koalitionsvertrag sieht dazu Folgendes vor: „Die Koalition wird verbesserte Möglichkeiten zum Schutz vor illegalem Welpen- und Tierhandel schaffen und den unerlaubten Tierhandel stärker verfolgen und ahnden.“
„Das Land Berlin wird ein Konzept erarbeiten und umsetzen, das unter anderem betreute Taubenschläge beinhaltet, welche mit den Bezirken und Tierschutzvereinen etabliert werden sollen.“ Diese Forderung ist absolut sinnvoll, jedoch nicht neu. Bereits die vorherige Landesregierung hat fünf lange Jahre völlig erfolglos daran gearbeitet. Aus dem Vertrag geht nicht hervor, was sich nun ändern soll.
„Auf Bundesebene setzt sie sich für höhere Standards bei der Haltung von Heim- und Nutztieren, Strategien gegen Qualzuchten sowie für ein Verbot von Wildtieren im Zirkus ein. Auch der gewerbliche Handel mit exotischen Tieren auf Tierbörsen soll weiter eingeschränkt werden.“ Diese wichtigen Punkte im Bereich des Tierschutzes können nur auf Bundesebene beschlossen werden. Deshalb muss das Land Berlin schnell entsprechende Initiativen in Richtung Bundesrat auf den Weg bringen und sich Verbündete auf Länderebene sichern. Man darf gespannt sein, was sich diesbezüglich bewegt.
Abschließend lohnt sich ein Blick zurück in die Wahlprogramme der Parteien, um abzugleichen, welche Themen keinen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden haben:
Der bmt Berlin hätte sich gewünscht, dass der neue Koalitionsvertrag deutlich mehr klare und abrechenbare Ziele für den Berliner Tierschutz beinhaltet hätte. Für Berliner Tierschützer:innen bleibt viel zu tun, damit es der hauptstädtische Tierschutz auf der politischen Ebene aus dem Konjunktiv in die Realität schafft.